Sicherheit geht vor

Im Übungsparcours fordern Bremsen und Ausweichen auf glattem Untergrund einiges an fahrerischem Können.
Sicherheit geht vor
Bremsen, rangieren, sicher ankommen – alle Kommissaranwärterinnen und -anwärter müssen zum Fahrsicherheitstraining.
Streife-Redaktion

Zunächst wird vorsichtig gewendet, rangiert, rückwärts eingeparkt. Basics eben. Auf einen kleinen Slalom zum Aufwärmen folgt eine Gefahren-Notbremse vor einer Sicherheitsbake. Die Vorderräder des Autos müssen dabei genau in einer Regenrinne zum Stehen kommen. Eine dynamische Kurve mit sogenannter Engstelle erfordert schon einiges an Geschick, damit die rot-weißen Verkehrskegel stehen bleiben. Der Sicherheitsgurt erfüllt seine Pflicht bei einer weiteren Notbremsung mit Ausweichen bei höherer Geschwindigkeit. Nachdem ein flotter U-Turn und ein längerer Slalom absolviert wurden, geht es an großen Wassersprengern vorbei. Sie sorgen für ordentlich Nässe, das Lenken und Ausweichen auf glattem Untergrund wird zur sprichwörtlichen Rutschpartie. Der Experte spricht vom μ-Sprung.

Insgesamt viermal müssen die Studentinnen und Studenten in der Polizeiausbildung diesen Kurs auf dem Gelände des Landesamts für Ausbildung, Fortbildung und Personalangelegenheiten der Polizei (LAFP) NRW in Schloß Holte-Stukenbrock meistern. Nach jeder Runde werden die jungen Frauen und Männer sicherer. Die Geschwindigkeit steigt, die Reifen quietschen über das Trainingsgelände, ein bisschen 24-Stunden-Rennen von Le Mans liegt in der Luft. In der letzten Runde läuft dann die Stoppuhr mit. Der Jahrgangsbeste brauchte in 2025 bis zu diesem Februartag etwas mehr als 2:30 Minuten für die Strecke. Der All-Time-Rekord liegt noch 20 Sekunden darunter. Doch Vorsicht: Jeder Fehler wird mit einer satten Zeitstrafe bestraft. Schließlich gilt hier wie in der gesamten Fahrausbildung der Kommissaranwärterinnen und -anwärter: Sicherheit geht vor Schnelligkeit.

Das Fahr- und Sicherheitstraining bildet im dualen Studium für den gehobenen Dienst der Polizei NRW, das jedes Jahr am 1. September rund 3.000 Studentinnen und Studenten beginnen, einen wichtigen Baustein. „Für dieses Training, das an den LAFP-Standorten Brühl, Schloß Holte-Stukenbrock und Selm stattfindet, stehen insgesamt vier Module auf dem Ausbildungsplan, eines davon im Grundstudium, drei im Hauptstudium“, erläutert Stephan Bockting (48), der das Ausbildungsdezernat 43 des LAFP NRW im Ostwestfälischen leitet. Unterm Strich kommen so mehr als 50 Stunden hinter dem Steuer zusammen.

Laura Brkic hat gerade die ersten beiden Runden auf dem Parcours hinter sich. „Natürlich wusste ich schon vorher, wie man Auto fährt. Aber jetzt fahre ich viel bewusster, da ich erlebt habe, was mit meinem Fahrzeug etwa auf glatter Fahrbahn passiert oder wie ich bei plötzlicher Gefahr ausweichen kann“, unterstreicht die 21-Jährige, die sich wie ihre Mitstreiter im zweiten Ausbildungsjahr (also bereits im Hauptstudium) befindet. So gelte beim Notbremsen etwa: „Oben schön locker bleiben, unten mit voller Kraft auf die Bremse treten.“ Laura Brkic: „Da ich mir sicher bin, dass ich es im Fall der Fälle draufhabe, dass ich auch mit Gefahren umgehen kann, bin ich deutlich weniger gestresst unterwegs.“

Unbestritten ist: Um einen Streifenwagen zügig und umsichtig im Straßenverkehr unter Einsatzbedingungen zu bewegen, braucht es weit mehr als die reguläre Fahrerlaubnis. „Polizistinnen und Polizisten sind auf Einsatzfahrten von Teilen der Straßenverkehrsordnung befreit – aber nicht von der Physik“, unterstreicht Polizeioberrat Bockting. Dafür wird in den Modulen im Grundstudium auf dem jeweiligen Gelände des Ausbildungsstandorts geübt, im Hauptstudium geht es dann in den normalen Straßenverkehr. Selbstverständlich mit Mercedes Vito und Ford SMax, also mit den Modellen, die auch im Polizeialltag auf der Straße unterwegs sind. Bei diesen Fahrten kommen einige Kilometer zusammen.

Die Studierenden erleben bei den Trainingsfahrten insbesondere unter einsatzähnlichen Bedingungen besonders herausfordernde Situationen mit uns an ihrer Seite und nicht erst dann, wenn es im Dienst tatsächlich brisante Lagen gibt. So bereiten wir sie bestmöglich auf die Praxis vor und stärken gleichzeitig die Verkehrssicherheit aller Beteiligten“, sagt Polizeihauptkommissar Tobias Jany. Der gelernte Kfz-Mechatroniker und Fahrtrainer bringt seit mehr als zehn Jahren seinen Schützlingen – wie er es nennt – „taktisches Autofahren“ bei.

„Der Drang, schnell zu helfen, ist verständlich. Der Geschwindigkeitsdrang dominiert in solchen Fällen alles, er muss aber der Verkehrssicherheit immer untergeordnet werden“, weiß Jany. „Es hilft keinem, wenn wir nicht ankommen. Wir sind nicht unverwundbar – und die anderen Verkehrsteilnehmer auch nicht.“ Der kaputte Funkstreifenwagen, der als Mahnmal auf dem LAFP-Gelände in Schloß Holte-Stukenbrock steht, macht dies Tag für Tag mehr als deutlich (siehe linke Randspalte).

Der 48-Jährige gehört zu den etwa 240 der insgesamt mehr als 400 LAFP-Lehrkräften, die sich in Speziallehrgängen für das Fahr- und Sicherheitstraining weitergebildet haben. Wie Isabel Kreimeier, sie ist seit sechs Jahren mit von der Partie. „Wir lehren ein bewussteres Fahren, als es in der klassischen Fahrschule gezeigt wird“, so die 30-jährige Regierungsbeschäftigte.

Angelo Campagna absolviert gerade sein duales Studium bei der Polizei NRW. „Ich besitze zwar schon mehr als ein Jahrzehnt den Führerschein, aber wir fahren hier auf einem ganz anderen Level“, so der 30-Jährige. „Ich fahre selbstbewusster, was aber nicht unbedingt heißt, dass ich schneller unterwegs bin.“ Ihm sei klar, dass er am Steuer eines Streifenwagens eine besondere Verantwortung in der Hand habe.

Dieses Wissen, dieses neue „Fahr-Können“, zeigt der Lippstädter dann in seinem Trainingswagen. Zunächst wartet erneut der Langsamfahrbereich mit Wenden, Rangieren und Einparken. Bei der Notbremsung stoppen die Räder dann genau in der Rinne. Punktlandung also.

In dringenden Fällen: Polizeinotruf 110